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Start ins Ungewisse – unser Sabbatical-Railtrip beginnt

Heute vor 3 Wochen sind wir aufgebrochen auf unsere große, lang erwartete, mehrfach verschobene und dann sehr spontan begonnene Reise. Zeit ein wenig zurückzuschauen.

Tag 1 – Abschied von Berlin

Um kurz vor 16 Uhr ist es so weit. Wir haben alles gepackt, die Wohnung ist fertig, ein paar Sachen sind im Büro für den Sommer deponiert, die mir ein guter Freund nachschicken wird. Der Schlüssel für unsere ukrainischen Untermieter ist am Späti abgegeben. Vor der Tür passe ich nochmal etwas meine schwere Beladung an, der Rucksack muss doch raus aus dem großen Backpack. „Na, geht’s jetzt los?“, wir treffen auf dem Weg unsere Nachbarin mit ihrem Baby.

Wir laufen zum Gesundbrunnen. So viel Gefühle: Vorfreude, Erschöpfung, Anspannung, Abenteuerlust, Freiheit. Wo werden wir heute Abend sein?

Wir kaufen uns ein Quer-Durchs-Land-Ticket. Bis auf Hauptbahnhof gibt es nicht so viele gute Optionen, daher steigen wir um 16:01 Uhr in den Regionalexpress zum Hauptbahnhof. Dort angekommen finden wir einen Aushang mit den Abfahrten. In 5 Minuten gibt es einen Regionalzug nach Dessau. Das ist es, Abendessen in Dessau und dann sehen wir weiter.

Dessau ist ziemlich menschenleer, aber doch interessant. Viele Gebäude aus DDR-Zeiten. Besondere Dreiecks-Hochhäuser. Wir sind bewegt von dem Container mit KZ-Hinterlassenschaften, deren Erben noch immer gesucht werden und vom Palmyrischen Restaurant, dass nach dem gleichnamigen Ort benannt ist, der mittlerweile nicht mehr existiert.

Zürck am Bahnhof geht es weiter nach Leipzig. Es ist wieder die erste sinnvolle Möglichkeit.
In Leipzig führt der nächste Zug nach Erfurt. Ich schreibe meiner guten Freundin Anna, ob sie mit uns frühstücken will und sie bietet uns direkt eine Übernachtung an. Sie holt uns mit ihrem Freund vom Bahnhof ab. Was für ein guter Start!

Tag 2 – Von Erfurt nach …

Wir genießen einen schönen halben Tag in Erfurt, bekommen eine tolle Stadtführung und steigen wieder so gegen 16 Uhr in den nächsten Zug. Es geht über Kassel weiter nach Gießen. Die Idee, nach Saarbrücken zum Salsa-Festival zu fahren, wird konkreter. Wir passen unsere Richtung etwas an, nicht mehr nur Hauptsache Süden, sondern erste Züge, die uns näher an Saarbrücken heranführen. So landen wir in … Gießen.

Tag 3-4 – Über Mainz nach Cuba, eh, Saarbrücken

Weiter geht’s mit dem Querdurchsland-Ticket nach Saarbrücken. Vom Bahnhof kommend macht die Stadt einen ziemlich hässlichen, verbauten Eindruck. Eine riesige, etwas heruntergekommene Shoppingstraße mit sich aneinanderreihenden Bausünden aus diversen Jahrzehnten begrüßt die Reisenden. Zumindest gibt es keine Autos in der Innenstadt, dafür neben der schönen Saar eine fette Stadtautobahn. Abends treffen wir viele Salsa-Freund*innen und Bekanntschaften aus Berlin. Es gab wegen der letzten, schwierigen Wochen und der Spontanität unserer Abreise keinen richtigen Abschied und so freue ich mich um so mehr, dass wir hier zumindest einen kleinen Abschied nachholen können.

Tag 5-7 – Nach Colmar zum Loopen

Nach ein paar schönen Salsatagen, einem tollen Konzert mit Tumbakin, einer neuen Timbagruppe mit einem ehemaligen Sänger von Pupy y los que Son Son, ein paar inspirierenden Afroworkshops für Salome und eher entspannten Stadterkundungen für mich geht es weiter.

Unser nächstes Ziel ist Colmar, wo ich ein paar Tage alleine verbringen werde und den dritten Teil von meiner ersten Loop-Workshopreihe mit der großartigen Anna moderieren will. Dafür habe ich mir eine kleine, schicke Wohnung mit gutem WLAN auf Airbnb besorgt.

Wir nehmen zunächst eine kleine Tram, die uns aus Saarbrücken nach Saargemünd in Frankreich bringt. Die Fahrt geht durch herrliche, ländliche Landschaft mit einem kleinen Flüsschen. Plötzlich sind wir in Frankreich. Danke, EU!

Colmar ist eine pittoreske kleine Stadt, die fast zu schön ist, um echt zu sein. Das wird mit vielen Touristen und entsprechenden Souvenirläden belohnt. Salome nutzt die Zeit, um ins Grüne zu kommen und lebt bei einer kleinen Familie mit Katzen – ihr spezielles Wellnessprogramm.

Den Loop verschieben wir nochmal, dafür buche ich über Eversports am letzten Abend eine Yogastunde. Meine erste Stunde auf Französisch, ich verstehe nur die Hälfte, aber es geht ganz gut. Leider bemüht sich die Lehrerin zu sehr um mich und verbessert mich ständig, weil sie meine „Interpretationen“ als Verständnisproblem einstuft. Trotzdem eine tolle Erfahrung. Nach der Klasse reden wir noch etwas, ein Gast ist hier wohl eher ungewöhnlich. Amelia, die Yogalehrerin, kommt aus Kolumbien, macht Musik, vor allem Jazz. Die Teilnehmerinnen sprechen alle Deutsch, das ist im Elsass vor allem bei älteren Menschen noch üblich.

Tag 8 – Nachtbus nach Avignon

Wiedersehen mit Salome am Bahnhof von Colmar. Irgendwie stockt es hier etwas, die Züge sind teuer und fahren nicht so wie wir wollen. Also fahren wir nur ins benachbarte Mulhouse.

Mulhouse ist auch schön sommerlich, viel weniger touristisch, dafür sind die Parks voll mit Studentinnen und Studenten und alten Männern, die das erste Mal ihre Sommerplätze einsitzen und gemütlich das Treiben beobachten und kommentieren. Wir trinken eine leckere Orangina in einem kleinen Café in der Sonne und überlegen, wie es weitergeht.

Nach einem leckeren Flammkuchen schauen wir kurz bei Flixbus rein. Es gibt eine Nachtfahrt nach Avignon. Avignon will ich unbedingt sehen, wir entscheiden uns sofort. Nachtbus klingt nach Abenteuer. Unsere jugendlichen Ichs schreien ja.

Tag 13 – Ein Tag in Perpignan

Perpignan gefällt mir sehr gut, es ist so südlich und etwas karibisch, Häuser mit großen Fenstern und bunten Fensterläden, alles etwas morbid-verfallen, aber nicht zu sehr. Wir schlafen in einem tollen Hotel mit gutem Bett, nachdem vor allem Avignon eher schlaflos war.

Im Bahnhofsviertel gibt es an vielen Stellen QR-Codes, die kleine Geschichten zu Sehenswürdigkeiten vorstellen. Sie sind vorgetragen in Katalan (Perpignan ist eine katalanische Stadt), Spanisch, Englisch und Deutsch, und zwar von Freiwilligen, die hier leben. Es ist so schön einfach und liebevoll gemacht und man kann sich so schön vorstellen, was für Menschen hier leben.

Wir essen das erste Mal ein tolles Mittagsmenü, eine Sache, die in Frankreich mal passieren musste. Neben uns sitzt ein älterer Herr aus Perpignan, der stolz erzählt, dass er Catalane ist und uns seine Lieblingsstadt Collioure anpreist. Das Menü enthält neben Gambas, ein Flanksteak und zum Abschluss ein Dessert. Dazu trinken wir leckeren, leichten Rotwein. Savoir vivre!

Tag 14 – Hallo Meer!

Collioure ist ein traumhafter Hafenort, etwas touristisch, aber malerisch schön, mit drei Buchten, kleinen Booten. Das erste Mal Meer von Nahem. Wir sitzen am Quai, jeder macht ein bisschen Seins, Salome liest in ihrem Buddhismusbuch, ich sitze und schaue über eine Stunde aufs Meer. Ich genieße es, dass ich so ruhig und bis auf einige vorbeiziehende Gedanken wirklich im Moment bin.

Wir machen ein kleines Picknick mit Zutaten aus einem lokalen Lädchen. Leckeres Brot aus Mais (sogar glutenfrei), Käse, in Knoblauch und Basilikum eingelegte Oliven. Danach fahren wir in dem kleinen Zug direkt am Meer entlang bis nach Portbou (Schöner Hafen auf Catalan). Es gibt einen riesigen Bahnhof in diesem kleinen Ort, Relikt der Zeit, als es zwischen Frankreich und Spanien noch eine Grenze gab. Eine monströse Bahnhofskuppel mit einem Lautsprecherpapagei, der ein tropisches Ambiente verbreitet und wohl die Tauben verschrecken soll. Wir sehen auch noch die alten Warte- und Passabfertigungshallen aus der Zeit, als die Grenze noch nicht ganz so schön durchlässig war.

In Portbou entscheiden wir uns bis nach Barcelona weiterzufahren, es ist sogar mal wieder der erste Zug, der abfährt, so wie wir es uns vorgenommen haben.

Über die Gleichzeitigkeit

Wir genießen die Zeit, die Möglichkeit in Freiheit zu reisen und die vielen Eindrücke. Immer mal schleicht sich ein trauriger Moment ein. Die Ukraine ist nicht vergessen. Mahnmäler wie das in Dessau oder die hässliche wiederaufgebaute Altstadt in Saarbrücken erinnern und sind gefühlt plötzlich wieder viel aktueller. Wir kommen in keine Stadt, in der nicht auf irgendeine archaisches Gemetzel hingewiesen wird.

Und trotzdem sind wir nach mittlerweile 21 Tagen schon sehr entspannt, freuen uns über unendlich viele tolle Begegnungen mit lieben Menschen, die aus unserer Sicht doch den überwiegenden Teil der Menschheit ausmachen. Von einigen werde ich in der nächsten Zeit berichten, u.a. auch von unserem Autostopp-Tag.

Wir sind mittlerweile im Duoro-Gebiet in Foz Coa in Portgual und verbringen in einem kleinen Dorf mit viel Natur und Bergen ein paar ruhige entspannte Tage.

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