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Cuentame de Cuba – Geschichten aus Habana

Erste Eindrücke

La Habana. Der Flughafen ist ein schöner Vorgeschmack auf Cuba. Die Passkontrolle, die versucht strengen Blicke der eigentlich so lässig wirkenden Kontrolleurinnen. Das Gewusel bei der Gepäckabfertigung. Es sind vor allem Cubaner_innen im Flugzeug, weniger Touristen. Alle gucken hektisch auf mehreren Bändern, aus denen in unregelmäßigen Abständen zumeist in reichlich Plastikfolie eingepackte Koffer und Kisten unterschiedlichster Größen purzeln. Eine aufgetakelte Exil-Cubanerin – alles an ihr ist gemacht – stakst mit ihrem Pudel durch das Labyrinth von Menschen und Gepäckwagen. Sie erntet Blicke und die sonst so muffeligen Zollbeamten, deren Hauptaufgabe darin zu bestehen scheint, dass sie willkürlich Koffer vom Band nehmen und irgendwo zwischen die Wartenden stellen, damit diese sie noch schlechter finden können und das ächzende Band weiterläuft, bieten ihr eilig Hilfe an. Die meisten haben sehr viel Gepäck. Ein cooler Cubaner im schwarzen Trenchcoat und mit riesiger Sonnenbrille lädt sich schon den vierten grellbunten Koffer auf seinen Wagen. Er schaut zufrieden, offenbar hat er alles gefunden. Eine Gruppe Vietnamesen, die so aussehen, als würden sie in Cuba arbeiten, platziert sich strategisch an allen Ecken und schreit sich laut und gestenreich zu, als einer der zahlreichen Elektrogerätekartons mit Microwellenaufschrift auftaucht. Im perfekten Teamwork rennt ein anderer emsig zum Karton und platziert ihn nach Tetrismanier auf einem der zahlreichen Wagen.

Dies und vieles mehr beobachte ich, während ich ca. 1 Stunde auf meinen Rucksack warte, der so vollgepackt mit Fahrradteilen ist, dass ich eigentlich fest damit rechne, dass er aufgeplatzt ist und bereits verwertet wird.

Am Ausgang erwartet mich Martin, meine Taxifahrerempfehlung von einem guten Freund. Er hat ein Schild in der einen und mein Whatsapp-Profilbild auf dem Handy in der anderen Hand. Er grüßt kurz und läuft dann schnellen Schrittes Richtung Parkplatz, wo sein pinkfarbener 49er Chevrolet-Cabrio steht. Wir werden schon von einer eifrig heraneilenden Polizeikontrolle erwartet, die sich freundlich und nur etwas streng gibt. Das Spiel beginnt: Martino gibt sich unterwürfig, sucht hektisch seine Unterlagen raus. Auch sie tun entspannt und schauen mit aufgeregt-vorfreudigem Blick auf sein Auto, in der Hoffnung gleich etwas dazuzuverdienen. Er überreicht ihnen demütig seine Lizenz. Als sie sehen, das alles in Ordnung ist ziehen sie enttäuscht und etwas gelangweilt ab.

Dann die Fahrt, zwei Sachen fallen mir auf: ich habe die Insel noch nie so grün gesehen, es nieselt leicht und hat laut Martin auch schon seit Tagen geregnet. Außerdem gibt es kaum Verkehr. Martin erzählt mir von der Krise, die für ihn schlimmer als die in den 90er Jahren ist. Damals ist in wenigen Wochen der Großteil des Bruttoinlandsproduktes weggebrochen, weil die Sowjetunion Cuba nicht mehr unterstützt hat. Es gibt wenig zu kaufen und wenn, dann nur in harter Währung in den überteuerten Devisenläden. Inmitten der größten Krise hat Cuba, wahrscheinlich zwangsläufig, die zweite Währung abgeschafft und damit zahlreiche Subventionen gestrichen. Der Peso ist danach innerhalb kurzer Zeit auf ein Viertel des Wertes abgestürzt. Gleichzeitig hat die USA nochmal die Sanktionen verstärkt.

Cuba rüttelt mich wieder durch. Es wirkt zwar noch vertrauter und weniger exotisch als bei den letzten Reisen. Wahrscheinlich, weil ich schon so lange am Reisen bin und nicht aus meiner Arbeitswelt in eine komplett entgegengesetzte Zeit stürze. Auch wirkt es weniger gefährlich, als es mir beschrieben wurde. Gleichzeitig bemerke ich wieder, wie ich am Anfang in eine passive Position gebracht werde. Die Cubaner sprechen mich laut an, konfrontieren mich mit ihrer Realität, ob in Form eines Armstummels, der mir zur Steigerung der Spendenbereitschaft ins Gesicht gehalten wird oder einer lauten, überdrehten alten Cubanerin, die einfordert, dass ich doch ein typisches Foto mit ihrer überdimensionierten Zigarre machen soll. Das Gute ist, dass ich das schon kenne. Es dauert nur ein wenig das Temperament entsprechend hochzufahren und einzustellen.

Und es gibt so gut wie nichts zu tun. Die Straßen sind leer, vor allem gibt es kaum Touristen. Die touristische Infrastruktur ist größtenteils auch zu. Habana Vieja, wo man sonst kaum treten kann, ist – wahrscheinlich auch wegen des Regens – komplett verrammelt. Die wenigen Touristen versammeln sich verschwörerisch in den zwei bekannten Hotspots, der Bodeguita del Medio und der Hemmingway-Floridita, wo sonst nie jemand einen Platz findet.

Es regnet in Strömen, seit ich in Habana angekommen bin. Es regnet den ganzen Abend, die Nacht, den Morgen, den Tag über. Es wechseln sich Aguacero (Platzregen), bei dem man das Gefühl hat, dass jemand große Eimer Wasser über der Stadt auskippt – und normaler Regen ab. Ich beschließe es zu genießen und lasse mir mit allem viel Zeit. Mein noch angeschlagener Fuß freut sich. Ich gehe zu meiner geliebten Pastelleria um die Ecke für das erste traditionelle Guyaba-Gepäck, packe gemütlich aus, überlasse mich meinen Gedanken. Sie drehen sich vor allem darum, ob es ein guter Zeitpunkt ist nach Cuba zu kommen. Die Antwort lautet immer mal wieder ja, vor allem wenn ich an die tollen Menschen und die Kultur denke!

Carlitos Auferstehung

Nach ein paar Tagen hole ich Carlito, mein geliebtes Fahrrad, dass ich 2019 nach Habana gebracht habe, ab. Er war auf einer wichtigen Mission bei der Familie eines guten cubanischen Freundes aus Berlin. Der Onkel meines Freundes hat ihn fast jeden Tag benutzt und hat – trotz all der Engpässe – noch kurz vor meiner Ankunft alles versucht um ihm wieder Leben einzuhauchen. Er hatte leider einen Unfall und nun ist das Hinterrad kaputt. Ich freue mich auf die Herausforderung, bei meiner letzten Tour habe ich ja Pedale in Habana gesucht und auch gefunden, also mal sehen, wie es jetzt aussieht.

Carlito steht in meiner Wohnung und sieht aus wie ein verschlissener Straßenkater. Ich habe ihm neue Reifen, Sattel und Bremsen mitgebracht und noch einiges mehr, aber damit, dass das Hinterrad oxidiert und Speichen fehlen, habe ich nicht gerechnet. Ich frage bei meiner cubanischen Familie, in dem tollen Fahrradladen am Prado und laufe mit dem Hinterrad durch die Straßen. Zahlreiche verständnisvolle Blicke und Gespräche. Teilweise Kaufangebote, aber keiner weiß, wo es ein Hinterrad geben kann. Der Onkel meines Freundes sucht auch weiter mit, fährt nach Cuatro Caminos, einem großen Markt, aber hat auch kein Glück. Ich beginne mich durch die Facebook-Gruppen zu fragen. Es gibt unendlich viele Gruppen mit vielen Mitgliedern. Ich lerne neue Wörter wie Felge, Hinterrad, Speiche und bleibe dennoch erfolglos.

Nach etwa einer Woche und mehreren Gesprächen mit Eumelia und Aurelio gibt es einen Hinweis. Aurelio hat von jemandem erfahren, dass es ein paar Straßen weiter jemanden gibt, der mit Felgen handelt und auch eine passende dahaben könnte. Ich laufe mit meinem kaputten Hinterrad bei ihm vorbei und finde tatsächlich eine Felge, ohne Speichen zwar, aber dafür bis auf einen harten Schlag in gutem Zustand.

Am selben Tag finde ich sogar noch einen lieben, älteren Fahrradmechaniker. Er lebt mit seinem stummen Sohn und seiner Frau in einer kleinen Straße. Er schaut sich die neue Felge und das alte Rad an und macht sich gleich an die Arbeit, die Speichen zu lösen. Es dauert etwa 3 Stunden, die ich in der kleinen Wohnung sitze. Immer mal schauen andere Kunden rein, er gibt mit wenig Worten Ratschläge. Es ist so friedlich und leise wie selten in Habana. Sein Sohn repariert Schuhe. Beide sitzen sich auf harten Eisenstühlen einander gegenüber. Ich sitze auf einer Plastikschale, die bedenklich knackt.

Wieder zu Hause setze ich das Rad ein und wechsele noch ein paar Dinge, merke aber, dass die restlichen Reparaturen nicht so einfach sind und so schiebe ich am nächsten Tag das Rad wieder zu ihm. Es wird noch ein ganzer Nachmittag, ein Team aus dem Fahrradmechaniker, einem weiteren Mechaniker und einem fahrradbegeisterten Quartierspolizisten werkelt und beratschlagt gemeinsam. Zwischendurch kommt auch seine Frau vorbei und fragt mich auf die typisch cubanische Art, ob ich eine Freundin habe oder ob sie noch Chancen hat. Wir machen Späße und jedes Mal, wenn ich danach am Haus des Fahrradmechanikers vorbeifahre, fragt er mich, ob er meine Novia (Freundin) holen soll.

Was für ein Gefühl auf Carlito bei 32 Grad und einer leichten Meeresbrise den Malecon entlangzucruisen!

Abends im Barrio Chino

Heute habe ich mir vorgenommen etwas Gesundes zu essen, deswegen gehe ich von meiner schönen neuen Wohnung in der Consulado Ecke Colon durch den warmen Nieselregen zum Barrio Chino. Viel ist nicht los auf den Straßen, die Cubaner sind wasserscheu. Es empfiehlt sich auch bei Regen immer mitten auf der Straße zu laufen, weil leider öfter mal Balkone und Häuserteile im Regen oder danach, wenn die Sonne wieder einsetzt auf die Bürgersteige stürzen. Gut, dass es so gut wie keinen Verkehr in Centro Habana gibt, sodass die Straßen mehr den Menschen gehören als den Autos, die sich meist mit einem lauten Hupen ankündigen.

Im Barrio Chino, dem Habanas Chinesischem Viertel, in dem es kaum Chinesen gibt, aber dafür ein riesiges chinesisches Tor, gehe ich in die eine traditionelle dekorierte Straße mit Lampions und chinesischen Zeichen. Am Eingang stehen zwei gut gelaunte cubanische Kellner und zeigen mir stolz die Karten ihrer jeweiligen Restaurants. Sie preisen insbesondere die traditionell chinesischen Gerichte Reis mit Hühnchen, Ropa Vieja (ein cubanischer Rindereintopf), Fisch und die typischen Meeresfrüchte.

Ich suche mir eins der fünf Restaurants aus indem es tatsächlich ein paar chinesisch inspirierte Gerichte gibt, verzichte auf das Angebot drinnen im auf Kühlschranktemperatur gekühlten Gastraum zu sitzen und suche mir ein Plätzchen auf der kleinen Terasse und bestelle mir einen grünen Salat, eine Portion Mangold und eine Portion Tallarin Salteada, Nudeln mit Gemüse. Während ich warte umgarnen mich zwei hungrige Katzen. Ich tausche Blicke aus mit einem Cubaner, der etwas abseits sitzt. Auf meine Frage, obs schmeckt, zeigt er mir mit Händen und Füßen, dass es schmeckt und er etwas mit Rind isst. Er ist offenbar stumm und so kommunizieren wir auf eine angenehm ruhige Art. Er ist wie ich an den beiden Katzen interessiert und gibt ihnen einen großen Klecks von seinem Essen ab, der bis auf die Erbsen sofort restlos vertilgt wird.

Ein als Mexikaner verkleideter Musikant kommt vorbei und versucht sich am Nachbarrestaurant in einer Verhandlung Musik gegen Essen, eine Frau fragt mich nach Feuer und ein älterer Mann setzt sich vor der Terasse auf eine Bank. Er strahlt eine starke Ruhe aus und doch merke ich, dass er auf etwas wartet.

Mein Essen kommt und ist unerwartet lecker. So viel Gemüse und Salat habe ich schon lange nicht auf einem Teller gesehen. Ich genieße, schaffe aber nur die Hälfte und lass mir den Rest einpacken. Einer Eingebung folgend frage ich den Mann auf der Bank, ob er Hunger hat. „Ja, sehr!“. Überglücklich nimmt er mein Essen und bedankt sich tausendmal bei mir. Ich gehe langsam zurück und frage mich, was er morgen isst.

Yin Yoga auf Spanisch

Lange habe ich mich auf diesen Tag vorbereitet. Habe Körperteile auf Spanisch gelernt, mein Script übersetzt und angepasst und an den Übergängen gefeilt und dann ist es so weit. Ich gebe ausgerechnet am internationalen Tag des Yogas und zum Mitsommer meiner erster Yin Yoga Klasse in Cuba und auf Spanisch. Das Studio ist im eher residenziellen Teil von Habana in Vedado. Ein altes Kolonialhaus mit 5 Meter hohen Decken und riesigen Türen. Mit der tollen Studiobesitzerin vom Kamal Studio in Vedado habe ich ausgemacht, dass wir zu diesem Tag ein besonders Special machen.

Sie beginnt mit einer kurzen Einleitung und einem Intention Setting, dann kommt ein aktiver Yogapart. Er dauert sehr lange, ich sitze etwas ungeduldig und aufgeregt auf dem riesigen Balkon vorm Yogaraum und gehe nochmal alles durch. Der Vinyasa-Lehrer doziert in typisch cubanischer Art lang und breit.

Dann ist es soweit, wir machen eine kleine Pause und ich richte mich ein. Es ist eine große Klasse, 15 Augenpaare sind auf mich gerichtet. Ich bin etwas aufgeregt, spreche dadurch eher Hochspanisch als mein mir sonst so gewöhntes Cubanol. Es fühlt sich gut an, meine Idee von chinesischem Yin Yoga mit afrocubanischer Musiktradition hier zu präsentieren. Vor Menschen, die genau in dieser Kultur aufgewachsen sind, die die Bedeutung von Yemaya (der Göttin des Meeres und Namensgeberin für mein Projekt Yemayin) und auch Elegua (dem Gott des Weges) kennen. Ich merke, wie sich alle immer mehr entspannen und so entspanne auch ich mich, empfinde tiefe Dankbarkeit und Verbundenheit. Es ist schön zu sehen, dass es gerade hier auch so gut funktioniert und ich kann gleichzeitig mit all den verschiedenen Menschen und auch mit der so anderen Lebensrealität so viel lernen. Zum Beispiel, dass Cubaner vielleicht nicht von 8 Stunden Bildschirmarbeit gestresst sind, dafür aber von Sorgen wie dem täglichen mehrstündigen Anstehen um Grundnahrungsmittel.

Nach der Stunde gibt es noch eine Meditation von Carmen, der Studioleiterin und wir trinken alle gemeinsam einen Tee auf dem idyllischen Balkon. Die Teilnehmenden bedanken sich überschwänglich mit einem „Gracias, Profe“ (in Cuba wird man oft mit seiner Berufsbezeichnung angesprochen statt mit seinem Namen). Wir quatschen noch lange und ich genieße es, so viele „normale“ Cubaner_innen kennenzulernen. Menschen, die nicht auf Touristenjagd sind.

Auch die nächsten beiden Klassen sind wunderschön und der Donnerstagnachmittag entwickelt sich für mich zu einem besonderen Wochenhöhepunkt. Es tut gut Teil der Gesellschaft zu sein, etwas von mir zu geben und nicht auf das Touristsein (Where are you from, amigo?) reduziert zu werden.

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