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Hilfslieferung von Berlin nach Przemyśl

Ich beschreibe in diesem Artikel, wie es sich, vor allem emotional, für mich angefühlt hat diese Fahrt zu machen. Die nächste Hilfslieferung steht schon kurz bevor und ich freue mich, dass wir so schnell so viele Spenden gesammelt haben. Vor allem Salome arbeitet unermüdlich spenden zu sammeln und auch alle anderen, die ich in diesem Post nur kurz nenne, bringen einen großen Einsatz ein.

Wir haben wegen einiger Probleme mit Gofundme eine neue Kampagne auf Betterplace eingerichtet.
Ihr könnt uns hier unterstützen: https://www.betterplace.me/generator-isomatten-und-schlafsaecke-fuer-die-ukraine

Mein persönliches Motiv mich für die Ukrainer*innen einzusetzen, ist neben dem unsäglichen Leid vor allem meine enge Verbindung zur Ukraine, die ich bereits zweimal beruflich besucht habe und mit der mich viele Freundschaften verbinden.

Tag 0 – Aufbruch

Und plötzlich geht alles ganz schnell. Gestern kam der lang erwartete Anruf von unserem Arbeitskollegen, dass seine Familie Donnerstag (heute früh) mit ihrem eigenen Auto den langen Weg Richtung Polen antritt. Etwa 1000 km in einem Land, indem jeder Meter sich gerade unsicher anfühlt. Mein Kollege kann selbst nicht mitkommen, er wird in seiner Heimatstadt Dnipro, einer Stadt im Südosten der Ukraine bleiben. Männer dürfen nicht ausreisen. So schickt er seine Frau und seine Schwester zusammen mit seinen drei Kindern alleine auf die ungewisse Fahrt. Der Anruf berührt mich sehr, ich spüre seine Sorge und Hoffnung, dass alles gut geht: „ich schulde dir mein Leben“. Ich sage, dass er dasselbe auch für mich tun würde und dass er auf sich aufpassen soll. Ein dicker Kloß steckt in meinem Hals.

Dann rufe ich direkt Petra an, die sich vor Tagen schon bereiterklärt, hat, ihren gerade gekauften, geliebten, alten Segelbus für die Fahrt zu leihen. Salome stellt mit Hochdruck die Hilfslieferung für die Hinfahrt zusammen. Sie hat bereits von Freunden und Verwandten aus der Schweiz Spenden in Höhe von 2000 Euro gesammelt und kauft nun gefühlt alle Isomatten und Schlafsäcke Berlins auf. Ich hole sie aus den Gropius Passagen ab. Es gibt aufgrund des Kriegs in Polen so gut wie keine Isomatten mehr und auch in Berlin sind sie mittlerweile fast immer vergriffen. Wir fahren weiter zum Alex, wo noch welche zu haben sind. Mein Freund und Geschäftspartner David hat in unter einem Tag Spenden gesammelt, weitere 1000 Euro für die Fahrt, Übernachtungen und Verpflegung. Nachdem klar wurde, dass die Familie mit ihrem eigenen Auto fährt, haben wir beschlossen, auf dem Rückweg andere Ukrainer*innen mitzunehmen. Gleichzeitig zur Organisation der Fahrt und der Spenden, stehen wir in Kontakt mit Linn, deren Mutter sich bereit erklärt hat, Wohnungen und Zimmer für die Neuankömmlinge bereitzustellen.

Tag 1 – Aus Berlin, mit Liebe – nach Breslau

Nach einer sehr unruhigen Nacht mit gemischten Gefühlen, irgendwas zwischen Anspannung, Sorge, aber auch Vorfreude, dass ich endlich los und etwas tun kann, nachdem ich so lange gewartet habe, ist es so weit. Wir packen die Kisten, Salome beschriftet sie auf Englisch und Ukrainisch. Für die Schlafsäcke hat sie blaue und gelbe Ostereier gekauft, die wir zusammen mit einem Zettelchen mit der Aufschrift: „Vy v nashykh dumkakh. Z Berlina z lyubov’yu.“ (Wir denken an euch, aus Berlin, mit Liebe) in die Schlafsäcke stecken. Um 14:45 Uhr geht’s los. Die Hinfahrt ist entspannt, ich freunde mich immer mehr mit dem schönen Bus von Petras Segelverein an, sogar der erste Gang geht mittlerweile geschmeidig rein. Es fühlt sich an wie ein Roadtrip, herrliches Wetter.

Ich denke zurück an die Frage von David vor etwa einer Woche, ob ich jemanden kenne, der die Familie von unserem Kollegen von der Grenze abholen könnte. Mein Sabbatical hatte gerade begonnen und ich fühlte mich angespannt und ohnmächtig aufgrund der vielen schlimmen Nachrichten. Ich dachte sofort: ja, ich!
Danach hat sich alles nur so ergeben, bei einem Telefonat zu meiner Buchhaltung mit Linn erwähne ich, dass ich eine Familie abhole. Sie bietet direkt Unterstützung an: „Es gibt Platz für 7“. Als klar wird, dass die Familie mit ihrem eigenen Auto kommen, da es sonst keine Ausreisemöglichkeiten gibt, rufe ich nochmal an.: „Gehen auch 11 Leute?“, „Na klar, dann halt 11“.

Die Fahrt geht erstmal bis Breslau, etwas weniger als die Hälfte der Strecke. Die Straßen sind frei, immer wieder begegnen mir andere Vans mit Ukrainefahnen aus allen Ländern Europas. Ich komme gegen 20:00 Uhr an. Die schwierige Nacht und die lange Fahrt in den Knochen entscheide ich in Breslau zu bleiben und dann am nächsten Tag früh zu starten. Ich esse leckere gebackene Pierogi in einem Restaurant, indem jede Kellnerin und jeder Kellner ein Ukraineabzeichen anstecken hat. Auch sonst ist in Breslau kaum ein Restaurant ohne Fahne, sogar an jeder Tram baumelt eine.

Tag 2 – Ankunft am Ankunftscenter

Ich stehe für meine Verhältnisse früh auf, meditiere kurz, frühstücke viel (wer weiß, wann es wieder was gibt) und hole den Bus von einem kleinen bewachten Parkplatz in der Nähe ab. Der liebe, alte Parkwächter, der offenbar die ganze Nacht aufgepasst hat, winkt mir zum Abschied zu. Die Straßen sind heute etwas voller, LKWs mit „No War“ – Schriftzügen, private Kleinbusse und Reisebusse wechseln sich ab. Auf den Infotafeln der modernen Autobahnen sind Ukrainefahnen zu sehen und Informationen zu Hilfshotlines. Mit jedem Kilometer steigt meine Anspannung, was wird mich wohl in dem Grenzort mit dem schwierigen Namen Pzremysil erwarten? Ich habe gehört von großen Staus, Versorgungsengpässen ( „es gibt kein Benzin oder essen, nimm soviel du kannst mit“), von Kindern, die alleine ohne ihre Eltern gestrandet sein sollen.

Nachmittags gegen 14 Uhr komme ich an die Abfahrt von Przemyśl, ein großes Schild mit zwei glücklichen Touris mit Kameras und Wanderrucksack wirbt für die Touristenregion mit ihren Sehenswürdigkeiten. Ich fahre an einem riesigen Feld mit einer Halle vorbei, wo ganz viele Autos stehen und ein großes Durcheinander herrscht. Rauch steigt auf. Ich traue mich nicht hinzusehen und bin froh, als ich vorbei bin und in einen kleinen Sandweg einbiege und vor einem Bauhof geleitet werde. Es herrscht hektisches Treiben, viele Leute stehen vor ein paar großen LKWs. Ein junger Mann steht am Tor und fragt mich, wo ich herkomme und zu welcher Organisation ich gehöre. Ich sage den Namen unserer Verbindungsperson in der Ukraine, aber er weiß nicht Bescheid. Sein Vater, der Inhaber des Bauhofs kommt herbeigeeilt. Auch er hat nichts gehört. Hektisch rufe ich Salome an, die am Telefon zu erklären versucht, aber auch ohne großen Erfolg. Ich werde an eine Freiwillige verwiesen, die Deutsch spricht und damit auch die gefragteste Person auf dem Hof ist – die meisten Lieferungen kommen hier anscheinend aus Deutschland. Ich parke den Bus und finde sie eine halbe Stunde nicht wieder. Mein Versuch, mich an die Namen zu erinnern, die mir Salome als Kontaktpersonen genannt hat, schlägt leider wegen meines schlechten Namensgedächtnis und der Aufregung fehl. Also nochmal Salome anrufen. Die Freiwillige sagt, sie haben gerade keine Lieferkapazitäten und schickt mich an einen anderen Ort in der Nähe.

Erst hier wird mir bewusst, dass die Fahrt von der Grenze in die Ukraine so ein schwieriges Nadelöhr ist. Truckfahrer ist immer noch ein sehr männlich dominierter Beruf und Männer dürfen nicht ausreisen, solange sie unter 60 sind. Also muss die ganze Fracht von ein paar alten Fahrern und den wenigen freiwilligen Fahrerinnen bis Lviv gebracht werden. Am anderen Lager sage ich, wer mich geschickt hat, eine Julia, kann mich aber nicht an den Nachnamen erinnern. Ich soll 20 Minuten warten. Also warte ich. Nach einer halben Stunde frage ich nochmal nach. Da kommt gerade eine Freiwillige auf den Hof. Sie heißt auch Julia, ist aber nicht die, die ich am anderen Hof getroffen habe. Sie nimmt sich trotzdem meiner an, wir telefonieren wieder mit der schon sehr erschöpften Salome, meinem Telefonjoker. Salome gibt uns die Nummer der Organisatorin in der Ukraine. Die neue Julia fährt mit mir mit zu einem anderen Lager, auf der Fahrt merke ich, dass es das erste Lager ist und erzählt, dass sie aus der Ukraine kommt, selbst vor ein paar Tagen geflüchtet ist und nun überlegt, längerfristig als Freiwillige zu arbeiten. Sie ist ziemlich fertig, wollte nach vielen Tagen mal einen freien Tag machen, aber es geht nicht. Sie wurde wieder gerufen und erzählt mir, dass jetzt so viele Zivilisten wie möglich fliehen sollten, damit die Soldaten sich auf das Kämpfen konzentrieren können und nicht noch Zivilisten retten müssen. Es klingt logisch und doch auch so traurig. Zurück im ersten Lager, klärt Julia alles und ich werde gebeten meine Fracht auf eine Palette auszuladen. Ein leerer LKW steht bereit, wenn ich möchte, kann ich noch eine Stunde warten um mit einzuladen, die Fracht erreicht noch heute Abend Lviv.

Salome rät mit, an die Grenze zu fahren und dort zu fragen, wer mitkommen will. Es wird schon langsam dunkel. Wieder fahre ich an dem gruseligen, vollen Platz vorbei. Nach 15 Minuten gibt es eine Straßensperre. Ich frage den Polizisten und er erklärt mir, dass ich nur an die Grenze darf, wenn ich schon konkrete, mir bekannte Personen habe, die dort auf mich warten. Alle, die niemanden haben, werden in ein großes Ankunftscenter geleitet. „Werde ich denn dort jemanden finden?“, frage ich ihn. „Es warten immer so 5000 Leute!“. Das ist der Moment, wo mir die Tränen in die Augen schießen. 5000 Leute, und ich kann nur 7 mitnehmen. Langsam fahre ich zurück und das Ankunftscenter stellt sich als der gruselige Ort heraus, an dem ich schon zweimal vorbeigefahren bin.

Ich kann nicht warten, weil inzwischen schon die Familie unseres Kollegen angekommen ist und bei einem McDonalds in der Gegend seit einer Stunde auf mich wartet. Sie haben es tatsächlich geschafft. Der Weg war recht frei, nur eine Brücke gesprengt. Sie stehen mit ihrem schicken, verstaubten Auto auf dem Parkplatz und freuen sich sehr mich zu sehen. Ich spüre ihre Anspannung. Reden können wir kaum, sie sprechen sehr wenig Englisch. Salome übersetzt wieder telefonisch. Sie hat auch bereits vorausschauend ein Hotel in 150 km Entfernung in Richtung Deutschland gebucht, 5 Zimmer für alle, die ggf. mitkommen. Da ich unbedingt noch weitere Ukrainer*innen mitnehmen will, sende ich Ihnen die Adresse und wir besprechen, dass wir uns dort wiedersehen.

Jetzt erst erkenne ich, wie riesig das Areal um das umfunktionierte, ehemalige Einkaufszentrum ist. Ich parke neben Hunderten von anderen Autos auf dem großen Parkplatz und gehe vorsichtig auf das Gelände. Es ist wie eine kleine Stadt um die Halle entstanden. Zahlreiche Camper von Freiwilligen stehen herum, es gibt super viele Stände mit kostenlosem Essen. Pasta aus Italien, Würstchen aus Deutschland, Steaks aus Argentinien, Pierogi aus Polen, Pommes aus Holland und vieles mehr. Alles organisiert von Freiwilligen. Vor der Halle stehen brennende Mülltonnen zum Aufwärmen, ich merke, dass es mittlerweile richtig kalt ist: -10 Grad.

Ich gehe in das große Center, auch hier, überall Freiwillige aus vielen Ländern. Als ich die ersten Menschen sehe, nehme ich meine Corona-Maske ab. Hier trägt keiner eine und es spielt gefühlt auch keine Rolle im Vergleich. Ich muss mich als Fahrer registrieren, bekomme ein Bändchen, mit dem ich in den Aufenthaltsbereich darf. Die Läden mit ihren großen Schaufenstern wurden in Aufenthaltsräume mit Liegen umfunktioniert. Jeder Laden hat eine Nummer, die ein Land repräsentiert. Nummer 10 ist Deutschland, Niederlande und Dänemark. Polen hat gleich mehrere Räume nach Region. Die Ukrainer*innen können so entscheiden, wo sie hin möchten. Es geht erstaunlich geordnet zu. Vor Raum 10 sitzt eine Frau mit ihrer großen, roten Katze auf dem Schoß. Sie sieht etwas verloren aus. Ich grüße sie kurz und lasse mir dann von einem Freiwilligen das System erklären. Es ist, anders als erwartet, gerade nicht viel los. Es gibt im Center fast mehr Freiwillige als Geflüchtete. Zusätzlich hat ein großer Bus vor kurzem viele in Richtung Deutschland mitgenommen und die restlichen Wartenden wollen nach Dänemark, wo sie direkt eine kostenlose Unterkunft und Unterstützung für 90 Tage vom Staat bekommen. So stehe ich da und bin das erste Mal damit konfrontiert, dass meine Hilfe vielleicht gerade nicht gebraucht wird. Es fühlt sich komisch an.

Ich geh erstmal wieder raus, spreche mit dem Flensburger vom Würstchenstand, der mich als Fahrer auch gleich mit leckeren Würstchen versorgt und schnappe mir von einem Container eine Pappe, um ein Schild mit meinem Angebot zu schreiben. Die Katzenfrau erklärt sich bereit, mein Schild auf Ukrainisch zu beschriften. Sie freut sich über die Beschäftigung und wir kommen ins Gespräch. Sie ist vor einer Woche aus Charkiw geflohen und gerade erst heute Morgen an der Grenze angekommen. Ihren Freund hat sie gerade verlassen und so gibt es niemanden weiter. Sie hat über eine Anzeige in einem Singleportal jemanden in den Niederlanden kennengelernt, der ihr angeboten hat, sie bei sich aufzunehmen oder für eine Unterkunft zu sorgen. Ich frage, ob sie verliebt ist: „Nein, aber er mag meine Katze. Und ich sein Kind. Und ich will auch bald arbeiten und selbstständig sein“. Angeblich soll ein Bekannter dieses Freundes sie heute noch abholen, aber sie weiß nicht so recht. Ich biete ihr auch an mit mir mitzukommen.

Dann gehe ich mit meinem Schild durch das Center, werde hier und da aufgefordert stehen zu bleiben um dann mit einem leichten Kopfschütteln abgewiesen zu werden. Es ist eine ziemliche Überwindung mit dem Schild durch die Hallen zu gehen, aber als ich darüber nachdenke, wie große und schwierig die Entscheidung ist, die meine potenziellen Mitfahrer*innen treffen müssen, verfliegt mein Selbstmitleid. Wenigstens das können sie entscheiden. Ein Freiwilliger geht mit einem kleinen Megafon noch eine Runde mit mir, wirbt für meine Fahrt. Aber es findet sich niemand.

Erfolglos gehe ich zurück zum Raum 10, zu meiner Ukrainerin mit ihrer Katze, die inzwischen friedlich in ihrem Käfig schläft. Ich treffe eine Freiwillige aus den USA, die mit ihrem Mann ihren Jahresurlaub genommen hat und extra nach Polen geflogen ist um zu helfen. Sie erzählt mir, dass es der erste ruhige Abend ist. Sie hat die 4 Nächte davor gebetet, dass noch jemand kommt. Alle sind erleichtert, auch wenn es nichts heißt, dass mal keiner kommt. Es gibt so viele Gründe. Aber es fühlt sich das erste Mal beherrschbar an. Keine Extrabetten auf den Fluren. Sie erzählt mir auch von Raum 13, wo all die hingehen, die nicht wissen, wohin sie wollen oder ob sie überhaupt weiterziehen wollen. Es ist noch einmal extra beklemmend, natürlich, wie sollst du nach 14 Tagen Krieg (davon vielleicht 7 Tage Flucht ohne Schlaf) wissen, in welches Land du willst. Vielleicht gibt es noch Hoffnung, schnell zurückzukommen. Vielleicht wartest du auch noch auf jemanden oder hast deinen Mann zurücklassen müssen und willst so nah wie möglich bleiben. Der Raum ist sicher der traurigste Ort in diesem Center. Es stellt sich heraus, dass er auch der größte ist. Es fällt mir schwer, aber ich gehe dann doch hinein. Ich will es wenigstens versucht haben. Vielleicht kann ich doch noch jemandem helfen. Die Menschen hier sind größtenteils apathisch, wahrscheinlich traumatisiert. Alte Leute, über 80, Familien mit kleinen Kindern, Babys. Es ist der größte Raum.

Nach einer Runde kehre ich zu Raum 10 und meiner Ukrainerin zurück. Es gibt mir Sicherheit mit ihr zu sprechen. Sie will schon fast mitkommen, da bekommt sie doch den entscheidenden Anruf. Bald wird jemand kommen. Sie bittet mich zu warten. Ich spreche zwei verloren wirkende Holländer an, die auch gerne eine Rückfahrt und Unterkunft anbieten würden. Sie sind dankbar für meine Schildidee, lassen sich auch ein Schild beschriften. Ich rechne nicht mehr mit Mitreisenden heute Abend, es ist mittlerweile 22 Uhr und es liegen noch 2 Stunden Fahrt vor mir, also biete ich ihnen die noch verbliebenen Hotelzimmer an. Sie sind dankbar, machen eine Runde und finden gleich zwei junge Frauen, die ohne zu zögern mitkommen wollen. Auch sie wirken oberflächlich stark, aber auch ziemlich verstört. Wir warten noch, bis der Holländer meine Ukrainerin abholt, er wirkt sehr sympathisch und sie verspricht mir, zu schreiben, wie es ihr geht.

Dann fahren wir durch die Nacht zum Hotel.

Tag 3 – Durchatmen

Ich schlafe wie ein Stein, behalte am Morgen meine Meditationsyogaroutine bei, die mir so geholfen hat und treffe um 9 Uhr die Familie unseres Kollegen zum Frühstück. Sie sehen schon viel entspannter aus. Der Schlaf und die Nacht in Sicherheit haben ihnen gutgetan. Dennoch wollen sie schnell weiter und irgendwo ankommen, soweit das möglich ist. Wir unterhalten uns etwas über Google Translate, ich spreche ins Handy, eine Frauenstimme spricht meinen Text auf Russisch, sie antworten und ich höre es auf Deutsch.

Ich spüre, dass meine Aufgabe erledigt ist, bespreche mich mit Salome nochmal, die mit den beiden lange telefoniert und wir entscheiden gemeinsam, dass sie die restliche Strecke alleine machen. Sie wollen schnell ankommen, mit meinem Bus bräuchten wir aber eine Übernachtung. Wir gehen noch gemeinsam zum Spielplatz und ich spreche mit unserem Kollegen. Wie auch David zuvor, versprechen wir uns, dass er nach Deutschland zum Schaschlik essen kommt, sobald es irgendwie möglich ist. Das gibt uns beiden Halt.

Als die beiden weg sind, entscheide ich, dass ich nach Krakau weiterfahre. Dort sollen am Bahnhof viele Geflüchtete warten. Es sind nur 200 km und schon in Richtung Heimat. Ich buche direkt ein Hotel im Zentrum und verbringe einen halbwegs ruhigen, sehr müden Nachmittag und Abend in Krakau. Auch hier sind so viele Ukrainefahnen und Solidaritätsbekundungen überall. Ich frage mich, ob es hilft. Ansonsten Samstagnachtleben. Menschen, die durch Pubs ziehen. Gute Laune. Es ist etwas surreal neben den anderen Bildern.

Tag 4 – Schnelle Rückfahrt auf Eiern

Es geht mir deutlich besser. Ich gehe mit meinem Schild zum Bahnhof, frage mich durch. Es gibt hier tatsächlich sehr viele Wartende. Um den Bahnhof sind improvisierte, große Zelte aufgestellt worden. Die Aufenthaltsbereiche sind komplett mit Ukrainer*innen überfüllt. Es ist hier deutlich weniger organisiert. Ich finde einen Infostand, wo ich meine Handynummer hinterlassen kann. Das Schild nehme ich langsam wieder hoch. Ich treffe Freiwillige, die gleich mit auf die Suche gehen. Mittlerweile hat sich hier schon rumgesprochen, dass Berlin kein guter Ort ist, weil zu voll. Bevor ich zur Fahrer-Registrierung komme, erhalte ich etliche Anrufe auf Ukrainisch vom Infostand, während gleichzeitig Menschen auf Russisch auf mich einreden. Hier werde ich sicher schnell jemanden finden.

Ich komme zu einem Freiwilligen, der gut Englisch spricht. Er bringt mir eine 5-köpfige Familie mit zwei kleinen Jungs und einem 4-monatigen Baby. Ich spreche über mein mittlerweile bewehrtes Google Translate Verfahren mit ihnen und wir werden uns schnell einig, dass ich sie zu einem kleinen Ort bei Cottbus mitnehme, wo sie Verwandte erwarten. Also noch zwei Plätze. Eine junge Frau aus der Ukraine, die mal in Deutschland gelebt hat und perfekt Deutsch spricht, bringt mir noch eine von zwei älteren Ukrainern begleitete ältere Frau. Sie möchte nach Rostock zu ihrer Tochter. Bleibt nur noch ein Platz. Ich spreche eine Frau an, die schon lange auf mein Schild schaut und dabei so unsicher und traurig aussieht. Sie überlegt noch. Ich beschließe, noch 20 Minuten zu warten und dann loszufahren. Die Unentschlossene schaut traurig drein, ich kann mir kaum vorstellen, wie schwierig die Entscheidung für sie als Alleinreisende sein muss. Ich gehe nochmal zu ihr, mein Handy übersetzt: „Ich kann verstehen, wenn du hier bleiben willst. Komm nur mit, wenn du dir sicher bist“. Da sagt sie mir, dass sie noch Gepäck hat, etwa 20 km von hier. Ich kläre mit den anderen Reisenden, dass wir dort noch vorbeifahren. Ich habe gelernt, dass das super wichtig ist. Umso mehr eigene selbstbestimmte Entscheidungen, um so schnelle kommt das Gefühl von Autonomie und Sicherheit wieder. Alle stimmen zu. Ich hole den Bus und komme zur verabredeten Stelle.

Es gibt ein kleines Drama um Kindersitz und Babyschale, die nicht gewünscht und doch irgendwie nötig sind. Meine letzte Mitfahrerin steht wieder unsicher da. Ich spreche nochmal mit ihr. Die beiden Freiwilligen stehen um sie, beraten mit ihr. Sie will doch nicht mit. Als ich gerade losfahren will, werde ich nochmal angehalten und sie steigt ein. Wir fahren los, sie telefoniert. Nach zwei Ecken bittet sie mich, doch anzuhalten. Ihre Familie hat gesagt, was soll sie in Deutschland, sie hat dort keinen, spricht die Sprache nicht. Und sie will auf jeden Fall sofort arbeiten. Wie soll das denn gehen ohne Sprache? Wir setzen sie ab und fahren zurück Richtung Cottbus.

Die Fahrt wird, anders als erwartet, sehr unspektakulär. Ich fahre etwas wie auf Eiern mit dem 4-monatigen Baby, dass doch meist auf dem Arm der Mutter ist. Wir kommen gut durch, die meiste Zeit schlafen alle. Neben mir, die alte ukrainische Frau, hinten die Familie. Auch den beiden Jungs fallen immer wieder die Augen zu. Wenn sie offen sind, sitzen sie nur brav da, spielen nicht, reden nicht. Einzig wach bleibt der Vater. Er zeigt mit seiner großen Hand auf jedes Ukraineplakat auf der Autobahn und lächelt leise. Jetzt weiß ich, warum jedes einzelne Plakat da hängt. Als wir gegen 18 Uhr an der Grenze ankommen, fängt er langsam an zu reden. Er hat sich meine Übersetzungsfunktion abgeguckt und spricht immerzu ins Handy: „Hallo, wir kommen aus der Ukraine“, „Das ist ein schönes Land“. Wir fahren im Dunkeln, die Straßen werden kleiner und kleiner, bis wir an eine Sackgasse im Wald kommen. Hier ist es, die Stadtfamilie aus Odessa wird in dieser kleinen Waldsiedlung unterkommen. Ich warte, bis jemand kommt und die Familie abholt.

Dann fahren wir weiter nach Berlin. Mit meiner verbliebenen Mitfahrerin habe ich besprochen, dass wir sie in Berlin in einen Zug setzen, der sie direkt zu ihrer Tochter bringt. Auch sie will so schnell wie möglich „ankommen“. Wir haben noch eine Stunde Zeit, Salome empfängt uns und sie reden viel auf Russisch. Sie schließt uns sehr in ihr Herz und erzählt, dass sie schon mehrfach in Deutschland, u.a. im Januar dieses Jahres. Hätte sie gewusst, was zwei Monate später auf sie zukommt, wäre sie sicher nicht zurückgefahren. Wir verstehen uns sehr gut, bringen sie noch zum Bahnhof, umarmen uns herzlich.

Ich falle schwer ins Bett. Die nächsten Tage bin ich ziemlich durch, denke viel nach. Über Autonomie, Selbstbestimmung, Freiheit, Heimat und diese vielen Menschen, die gerade ihre Heimat verlieren.

Dieses Wochenende geht es wieder los. Wenn ihr möchtet, könnt ihr unsere Aktion unterstützen!

Wir haben wegen einiger Probleme mit Gofundme eine neue Kampagne auf Betterplace eingerichtet.
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